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Antifaschistische Stadtrundfahrt durch Offenbach

Wir, die Klasse 10c, haben im Rahmen unseres Geschichtsunterrichts bei Herrn Jonas am 23. Mai 2022 an einer Antifaschistischen Stadtrundfahrt der Geschichtswerkstatt Offenbach teilgenommen. Bei dieser Stadtrundfahrt fuhren wir mit dem Bus zu verschiedenen Orten in Offenbach, die in Zusammenhang mit der Verfolgung von Juden und anderen Minderheiten während des Nationalsozialismus stehen. Dabei erläuterten und erklärten uns Barbara und Günther von der Geschichtswerkstatt die historischen Hintergründe.

Antifaschistische Stadtrundfahrt 4

Um 10.00 Uhr wurden wir vor dem AOK-Gebäude von unserem Tourbus abgeholt. Unser erstes Ziel befand sich direkt neben unserer Schule, das sogenannte AOK-Gebäude. Dort haben wir erfahren, dass dieses damals das Reichsgesundheitsamt war. Dieses Amt sorgte für die Umsetzung eines Gesetzes, das die Fortpflanzung “kranker” Menschen verhindern sollte. Menschen, die als krank galten, wurden in Anstalten untergebracht, wo man Menschenversuche an ihnen durchführte. Die Nationalsozialisten nannten dieses Programm “Euthanasie”, was wörtlich “schöner Tod” bedeutet.

Unser nächstes Ziel war das Sana-Klinikum. Dort wurden Menschen im Rahmen des Euthanasie-Programms operiert und zwangssterilisiert.

Später ging es Richtung Bismarckstraße und dort haben wir erfahren, dass es in allen Schulen in Offenbach Wahllokale gab. Vor solchen Wahllokalen gab es häufig gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern der Nationalsozialisten. In diesem Zusammenhang wurde der Name Christian Pless genannt. Dieser war ein Sozialdemokrat, der in eine Schlägerei in der Nähe des Hauptbahnhofes zwischen NSDAP- und SPD-Anhängern verwickelt war und dabei schwer verletzt wurde. Er verstarb schließlich in einem Krankenwagen.

Während der Fahrt erzählten Barbara und Günter von Formen des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in Offenbach. Manche Menschen trafen sich heimlich, um etwas gegen die Nationalsozialisten zu unternehmen. Diese Menschen blieben allerdings die Minderheit. Manche, die sich im Widerstand engagierten, wurden in Schutzhaft genommen und aus dieser erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder entlassen.

Die nächste Station war das Capitol in der Kaiserstraße. Wir erfuhren, dass das Gebäude früher eine Synagoge war. Während der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, in der in ganz Deutschland jüdische Geschäfte und Synagogen in Brand gesteckt und Juden misshandelt und getötet wurden, wurde die Offenbacher Synagoge zerstört. Sie brannte jedoch nicht völlig ab, da die Nazis wohl  ein Interesse an der weiteren Nutzung des Gebäudes hatten.

Antifaschistische Stadtrundfahrt 1

Viele Offenbacher Juden wurden verhaftet und in Konzentrationslager gebracht. Dort wurden sie drangsaliert und zur Auswanderung gezwungen. Schätzungsweise 400 Offenbacher Juden wurden in KZs ermordet. Auf einem freien Platz neben der Synagoge (heute das Messegelände) befand sich ein Sammelplatz für zusammengetriebene Jüdinnen und Juden. Hier wurden die Menschen auf Lastwagen verladen und nach Frankfurt oder Darmstadt gebracht, von wo sie dann auf die Transporte nach Ausschwitz oder andere Vernichtungslager geschickt wurden.

Viele Juden versuchten zu fliehen, was aber nicht so einfach war. Man musste ein Land finden, das einen aufnahm, und außerdem war eine Flucht sehr teuer. Nur die reichsten Juden aus Offenbach konnten das Land verlassen, viele versteckten sich.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine neue, kleinere Synagoge direkt gegenüber errichtet, die heute noch genutzt wird. Erschreckend fanden wir, dass diese neue Synagoge auch heute noch unter Polizeischutz stehen muss, da es immer noch Antisemitismus gibt.

Wir fuhren dann am Ledermuseum vorbei. Direkt daneben befand sich damals das Präsidium der Gestapo (Geheime Staatspolizei). In dessen Kellerräumen wurden politische Gegner der Nazis eingesperrt, gefoltert und schikaniert. Seit 1985 heißt der Platz vor dem Ledermuseum “Platz des 8. Mai 1945” (das war der Tag, an dem Deutschland vom Faschismus befreit wurde). Es ist der einzige Platz mit diesem Namen in ganz Deutschland.

Antifaschistische Stadtrundfahrt 3

Die nächste Station war das Isenburger Schloss. Auf dessen Vorhof wurden Bücher verbrannt. Das fand in Offenbach auf nahezu jedem Schulhof statt. Am 22. Mai 1933 versammelten sich 5000 Menschen vor dem mit Hakenkreuzfahnen geschmückten und mit Fackeln beleuchteten Isenburger Schloss, um vor allem wissenschaftliche Werke von Karl Marx, Sigmund Freud und Albert Einstein zu verbrennen. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, “undeutsche” Bücher abzugeben, die dann verbrannt werden sollten. Kinder gingen an die Bücherschränke ihrer Eltern und schauten, welche Bücher sie zum Verbrennen mitnehmen sollten. Der Dichter Heinrich Heine sagte einmal: “Wo man Bücher verbrennt, da verbrennt man am Ende auch Menschen.”

Antifaschistische Stadtrundfahrt 2
Bücherverbrennung vor dem Isenburger Schloss

 

Antifaschistische Stadtrundfahrt 8
Werbeplakat für die “Richard Wagner Abendfeier” am Isenburger Schloss

Unser nächstes Ziel war der alte Friedhof, welcher in zwei Teile aufgeteilt ist: einen christlichen Teil und einen jüdischen Teil. Zuerst besuchten wir den christlichen Teil. Dort wurde uns das Grab von Ludwig Müller gezeigt. Auf der Grabplatte war einmal ein Flugzeug zu sehen, denn Müller war Kampfpilot im Nationalsozialismus. Das Flugzeug ist irgendwann geklaut worden, und auch die Grabinschrift ist nicht mehr vollständig. Auf dem Grab stand, dass Müller für sein Vaterland gestorben sei, doch in Wirklichkeit war er ein Pilot der Legion Condor, die zur Unterstützung des spanischen Diktators Franco viele spanische Städte und Dörfer bombardierte, darunter auch das Dorf Guernica, worüber Pablo Picasso ein berühmtes Bild gemalt hat. Bei einem dieser Angriffe kam Müller ums Leben.

Antifaschistische Stadtrundfahrt 6

Bevor wir die jüdische Seite des Friedhofs betreten durften, mussten alle Jungs eine Kopfbedeckung tragen, aus Respekt vor der jüdischen Religion. Das erste, das uns auf dem jüdischen Friedhof direkt ins Auge gesprungen ist, waren zwei Pyramidensteine und das prächtige Grab eines jüdischen Mannes namens Gludo, auf dem Statuen standen. Später wurde uns eine Gedenktafel gezeigt, die an die Menschen erinnert, die im Ersten Weltkrieg gestorben sind, sowie auch das Grab von Guggenheim. Guggenheim war Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Offenbach und hat persönliche Gegenstände an ein jüdisches Museum in Amerika verschenkt. Deshalb wurde er am 9. November verhaftet und später in ein Konzentrationslager gebracht. Sein letzter Wunsch war, hier in Offenbach begraben zu werden.

Unser letztes Ziel war das Kickers-Stadion. Uns wurde erzählt, dass Hitler dort eine Rede halten wollte. Dies durfte er jedoch nie tun, weil der Vereinspräsident Manfred Weinberg Hitlers Anfragen abgelehnt hat. Damit waren damals nicht alle Vereinsmitglieder einverstanden.

Des weiteren haben wir noch erfahren, dass die Arbeiterparteien die Mehrheit in Offenbach waren, weswegen man auch vom “Roten Offenbach” sprach.

Im Großen und Ganzen hat uns die Rundfahrt sehr gefallen, weil sie sehr interessant war. Wir haben vor allem mitgenommen, dass Verfolgung und Vertreibung von Juden und anderen Minderheiten während des Nationalsozialismus auch in Offenbach stattfand, teilweise in aller Öffentlichkeit. Auch heute noch muss man dem entschieden entgegentreten, denn noch immer gibt es Antisemitismus!

Nach der Stadtrundfahrt kamen Barbara und Günter zu uns in den Geschichtsunterricht. Sie haben weitere  Fragen, die wir zum Thema hatten, beantwortet und gemeinsam mit uns über unsere Eindrücke der Stadtrundfahrt gesprochen.

Zum Schluss möchten wir uns bei Barbara und Günter bedanken, die uns diese Rundfahrt ermöglicht haben.

Elisa, Fatima & Rahma aus der 10c

 

Verwendung aller historischen Bilder mit freundlicher Genehmigung der Geschichtswerkstatt Offenbach

[Jon – 6/2022]